Vincent van Gogh in der Provence

1888 zog es Vincent van Gogh in den Süden von Frankreich; in die herrliche Landschaft der Provence mit ihren leuchtenden Farben und bezaubernden Licht. Nach rastlosem Umherreisen und stetigen Ausprobierens in den Niederlanden und in Paris kam der heute weltberühmte Künstler erst nach Arles und dann nach Saint-Rémy; zwei provenzalische Dörfchen, für die die Region besonders bekannt ist. Hier konnte er endlich seinen eigenen Stil verwirklichen und schuf Kunstwerke, mit denen er in die Geschichte eingehen soll. Doch ebenso wird er hier zum Inbild des tragischen verrückten Künstlers, als er sich in Arles sein linkes Ohr abschnitt und von heftigen Anfällen geplagt war. Sein Aufenthalt in der Provence wird sein Leben drastisch verändern.

Van Gogh in Arles

Nach Jahre des Reisens, Neuanfangens und Probierens sollte Arles eigentlich nur eine Zwischenstation auf Vincent van Goghs Reise in den Süden Frankreichs und in die regionale Hauptstadt Marseille sein. Der Niederländer hatte sich 1880 mit 27 Jahren entschieden, selbst als Künstler tätig zu sein und entfachte eine immer stärkere Leidenschaft zu seiner Malerei. Er versuchte zunächst in seinem Heimatland Erfolg als Zeichner und Maler zu haben, doch beschloss er 1886 in den Mittelpunkt der Kunstszene zu ziehen: nach Paris. Hier lebte sein geliebter Bruder Theo, der Vincent Zeit seines Lebens unterstützen und seine Kunst förderte. Der Umzug nach Frankreich viel Vincent wegen der Nähe zu seinem Bruder leicht, und auch in Paris konnte sein Künstlerherz höherschlagen. Inmitten von Gleichgesinnten lernte er einige bekannte Künstler seiner Zeit kennen, wurde vertraut mit der französischen und internationalen Kunstszene und entwickelte seinen eigenen Stil weiter. Doch von seinen eigenen Kunstwerken konnte van Gogh nicht leben, weshalb er weiterhin seinem Bruder half, ihr Familienunternehmen im Kunsthandel aufrechtzuerhalten. Dafür sollte er im Februar 1888 in den Süden des Landes fahren, nach Marseille. Auf dem Weg dorthin macht er Halt in dem kleinen Städtchen Arles. Doch, wie keiner ahnte, sollte dieser Zwischenstopp zu einem Aufenthalt von mehreren Jahren in der Provence führen.

Abseits des großen Stadtlebens in Paris erfreute sich Vincent van Gogh der ländlichen Provence, was ihn an seine provinzielle Heimat, den Niederlanden, erinnerte. Er war nie ein Stadtkind gewesen und fühlte sich aufgehobener auf Feldern, in der Natur und unter freiem Himmel. All das war ihm in seiner Zeit in Paris vergönnt gewesen, doch hier, im Süden Frankreichs konnte er seine Leidenschaft wieder in vollen Zügen genießen. Den Stil, für den er heute so bekannt ist, begann er erst in der Provence konsequent anzuwenden. Denn hier konnte er seiner geliebten „Plein-Air“-Malerei (Freilichtmalerei) ungestört nachkommen und sogar verfeinern. Die herrliche Landschaft der Provence eignete sich mit der einzigartigen Natur und dem bezaubernden Licht wie keine andere für Vincents Art der Malerei. Es waren die intensiven, leuchtenden Farben des Südens, die van Gogh so sehr faszinierten und inspirierten. So bewegte sich van Gogh viel draußen, verbrachte manchmal mehr als 10 Stunden am Stück unter dem tiefblauen Himmel seines neuen Wohnorts und erkundete auf langen Ausflügen die Region. Der Künstler spross vor künstlerischem Output, gilt sein Aufenthalt in Arles als besonders produktiv. Doch nicht nur mit der provenzalischen Natur freundete sich van Gogh an. Er schaffte es auch, anders als in Paris oder den Niederlanden, ein bisschen Geld mit seiner Kunst zu verdienen. Denn er begann die Bürger von Arles zu portraitieren und schien sich dabei allgemeiner Beliebtheit und kleiner Bekanntheit zu erfreuen. Besonderes die Familie Roulin, wo sich eine enge Freundschaft mit dem Postmeister Joseph entwickelte, war für das Einleben van Goghs in Arles von entscheidender Bedeutung.

Schnell konnte van Gogh vier Zimmer in dem „Gelben Haus“ in Arles mieten, das heutzutage zwar nicht mehr existiert, jedoch zu einem Sinnbild des Ortes wurde. In den gelben Mauern sah er seinen lang ersehnten Traum eines eigenen Künstlerbundes nun tatsächlich Wirklichkeit werden. Vincent van Gogh träumte von einem „Atelier des Südens“, wo er mit anderen Künstlern lebte und gemeinsam arbeiten konnte. Arles und das Gelbe Haus, so schien es, waren nun endlich die Orte, wo sein Atelier Realität werden konnte. Allerdings verdiente er mit seinen Auftragsarbeiten nur wenig, sodass er immer noch auf die Unterstützung seines Bruders Theo angewiesen war, der ihm regelmäßig nicht nur Geld, sondern auch hochwertige Kunstutensilien schickte. Theo war der einzige der in die Kunst von seinem Bruder vertraute und half ihm deshalb, endlich Fuß zu fassen als eigenständiger Künstler. So war es auch Theo zu verdanken, dass van Gogh erste Schritte in das Atelier des Südens gehen konnte. Vincent warb immer wieder seine Künstlerfreunde aus der Pariser Szene an, zu ihm in den Süden Frankreichs zu kommen und gemeinsam in einer einzigartig künstlerischen Atmosphäre zu arbeiten. Allerdings überzeugte er wenige Künstler, ihn in Arles zu besuchen, geschweige denn, zu ihm in das Gelbe Haus zu ziehen. Einzig allein Paul Gauguin kam zu Besuch nach Arles. Dies war indes Theos Verdienst, hatte er durch den Verkauf von Gauguins Werken einen gewissen Einfluss auf den Künstler. Vincent van Gogh erfreute sich jedoch besonders an den Besuchen von Gauguin, war er ein Künstler, den van Gogh bewunderte und der ihm mit seinem abenteuerlichen Reisen Vorbild war. Im Oktober 1888 gelang es Theo Gauguin zu überzeugen, nach Arles in das Atelier von seinem Bruder zu ziehen, sodass der Traum von Vincent erstmals Gestalt annahm. Das Projekt sollte hingegen nur von kurzer Dauer sein, endete es bereits zwei Monate später mit dem lebensverändernden Ereignis, das van Goghs Zukunft und auch sein Ansehen in der Nachwelt entscheidend beeinflussen sollte.

Es war der Abend des 23. Dezember 1888, kurz vor Weihnachten, als der erzürnt und verwirrt wirkende Vincent van Gogh blutverschmiert ein örtliches Bordell betrat und sein linkes Ohr auf den Tresen legte. Wenig später im Morgengrauen des 24. Dezembers findet die Polizei ihn fast bewusstlos auf den Straßen von Arles wieder und weist den zwar geschwächten, aber immer noch wütenden van Gogh, in das örtliche Krankenhaus ein. Am 25. Dezember 1888 erfährt sein Bruder Theo von dem merkwürdigen Vorfall in einem Telegramm von Paul Gauguin, der gleichzeitig seine endgültige Abreise aus Arles ankündigt. Theo macht sich, trotz des Weihnachtsfestes, sofort auf den weiten Weg von Paris in den Süden Frankreichs, in tiefer Sorge um seinen Bruder. In Arles erfährt er, dass Vincent als Verrückter der Stadt gilt, dessen massive Selbstverletzung nicht sein erster Anfall war, mit dem er für Unruhen in Arles sorgte. Schon zuvor war immer wieder aufgefallen, dass sich Vincent van Gogh und Paul Gauguin im Atelier des Südens heftig stritten. Doch am 23. Dezember, so bekommt es Theo geschildert, eskalierten die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Künstlern und Vincent erleidet einen heftigen Nervenzusammenbruch. Was genau vorgefallen ist, bleibt bis heute ein Rätsel. Feststeht jedoch, dass Gauguin wortlos und ohne Kommentar Arles Hals über Kopf verlässt, van Gogh von heftigen Anfällen geplagt mehrere Wochen im Krankenhaus bleibt und sich die beiden Künstler niemals wiedersehen werden. Von nun an soll die Phase beginnen, für die van Gogh, neben seinen bemerkenswerten Bildern, später traurige Berühmtheit erfährt. Er wird das Inbild eines „verrückten Künstlers“, bei dem künstlerisches Können mit dem Wahnsinn verschwimmt. Zwar darf er nach einigen Wochen aus dem Krankenhaus in Arles verlassen, doch erleidet er immer wieder heftige Anfälle, in denen er brüllend und aggressiv durch die Straßen von Arles läuft.  

Mit seinen zunehmenden Anfällen wurde van Gogh zum Stadtgespräch in Arles. Die Bürger der Kleinstadt gingen sogar so weit, dass sie eine Petition aufsetzten, den verrückten Maler zwangseinzuweisen. Fast alle Bürger Arles unterschrieben, sodass van Gogh sich wieder in einem Krankenhauszimmer wiederfand. Doch der Missmut seiner Mitbürger und ihre klare Ablehnung, teils Angst und Abscheu gegen ihn, ging an dem Künstler nicht spurenlos vorbei. Arles wollte ihn nicht mehr sehen – das war das Gefühl, mit dem van Gogh sich gezwungenermaßen wieder in das Krankenhaus begab. Ihm war klar, dass er, wolle er sich selbst schützen und möglichst „gesund“ werden, aus dem Ort wegmusste, in dem er nicht mehr willkommen war.

Van Gogh in Saint-Rémy

Am 8. Mai 1889 ließ sich Vincent van Gogh selbst und freiwillig in das Sanatorium Saint-Paul ein, das unweit vom Stadtzentrum der Kleinstadt Saint-Rémy de Provence liegt. Er floh regelrecht vor der Ungunst der Bewohner aus Arles in ein weitaus ländlicheres Gebiet. Hier, inmitten der Weinreben und leicht erhöht auf einem Hügel der Ausläufer der Alpilles bezog der Künstler ein kleines Zimmer mit Blick in den Garten und hinaus auf die hügelige Landschaft. Etwas außerhalb des städtischen, zentralen Trubels und abgeschottet inmitten der sanften Natur der Provence, ist es ganz anderes als in Arles. Endlich konnte er wieder seiner Plein-air-Malerei nachkommen, die er zwar in Arles anderes als in Paris bereits begonnen hatte, jedoch  in Arles zunhemend vernachlässigen musste. Zum einen hatte er sich dort des Geldes wegens der Porträtmalerei zugewandt und zum anderen hatte Gauguin die Freilichtmalerei verabscheut und van Gogh von dieser versucht abzubringen. In Saint-Paul jedoch verspürte Vincent nun weder Druck, seine Kunst dem allgemeinen Willen aus finanziellen Nöten anzugleichen, noch hielt ihn irgendjemand auf, so zu malen, wie er es genoss. Vielmehr erkannten die Pflegerinnen und Pfleger sogar, wie sehr van Gogh das Malen bei der Verarbeitung seiner Probleme half. Daher durfte er im Sanatorium ausdrücklich frei malen, wofür ihm auch sein Bruder Theo immer wieder mit Farben, Leinwänden und Pinseln versorgt. Theo ist nach wie vor sehr besorgt um seinen Bruder und erkundigt sich daher oft bei den Ärzten der „Nervenheilanstalt“. Diese berichten ihm von einer deutlichen Verbesserung des psychischen Zustandes von Vincent, der dank seiner Malerei in der Natur sichtlich Fortschritte machte.

Doch zunächst ist es Vincent van Gogh nicht gestattet, das Gelände der Anstalt zu verlassen, sodass er viele Stunden im Garten sitzt und künstlerische Studien zu allerlei Phänomenen der Natur beginnt. Van Gogh sah die provenzalische Welt mit anderen Augen. In wahrlich neuen Dimensionen verewigte er seinen Ausblick, seine Spaziergänge und Pausen im Garten der Anlage mit detaillierten Studien der provenzalischen Landschaft. Formen, Farben, Strukturen – alles wirkte lebendig, farbenfroh und aufgeweckt; so, wie van Gogh die Provence wahrnahm. Seine Malerei kommt dabei nicht nur ihm selbst zugute. Auch andere Patienten finden Gefallen an ihrem künstlerischen Mitbewohner, dessen Schaffen und Malen auf dem Gelände der Heilanstalt allgemeine Abwechslung und Freude bringt. Wenig später, im Juni 1889, darf van Gogh die Mauern des Klosters verlassen und beginnt so bald seine neuen Freiheiten zu genießen. Doch ihm fällt immer wieder auf, wie gefangen er sich in der Anstalt fühlt und welchen negativen Einfluss die anderen Patienten auf ihn haben. Trotz der Möglichkeit seiner geliebten Freilichtmalerei in solch einer Landschaft nachgehen zu können, erleidet Vincent immer wieder Anfälle aufgrund der bedrückenden Stimmung im Sanatorium. Der leitende Arzt wollte ihm sogar das Malen verbieten, nachdem van Gogh mehrmals Farbe geschluckt haben soll. Langsam fühlt sich van Gogh auch hier immer mehr unwillkommen und gefangen in einer Rolle, die nicht seiner Person entspricht. Im Herbst 1889 erklärt er daher seinem Bruder Theo, dass er – komme, was wolle – aus Saint-Rémy weg möchte. Doch Theo, stets besorgt um seinen kranken Bruder und in engem Kontakt mit den leitenden Ärzten, steht nun im Zwiespalt. Auf der einen Seite möchte er seinen Bruder endlich glücklich sehen, doch sieht er auch die Gefahren, die eine unzureichende medizinische Versorgung Vincents mit sich bringen könnten. So sucht er nach einem alternativen Ort, wo Vincent gleichzeitig Künstler sein kann und in guter Versorgung ist. Theo gelangt an seinen Künstlerfreund Paul Gachet, der eigentlich ein ausgebildeter Arzt ist und unweit von Paris wohnt. Gachet erklärt sich bereit, sich um Vincent zu kümmern, was die van Gogh-Geschwister ebenfalls erfreut, nun wieder näher beieinander leben zu können. Gut ein Jahr nach seiner Ankunft in der Nähe von Saint-Rémy verlässt Vincent van Gogh die Anstalt und macht sich auf den Weg nach Auvers-sur-Oise, wo er seine letzten zwei Lebensmonate verbringen wird.

Aus seinen Studien in seiner Zeit im Sanatorium Saint-Paul entstand jedoch sein wohl bekanntestes Werk: „La nuit étoillée“; Sternenhimmel. Eine hohe Zypresse windet sich im Wind der tiefblauen Nacht mit strahlenden Sternen vor den Hügeln der Alpilles. Vor den Hügel liegt ein kleines Dörfchen, dessen hoher Kirchturm in der stürmischen Nacht heraussticht. Ist es jene Aussicht, die van Gogh aus seinem Fenster in der Anstalt sah oder ein Blick in die sternenreiche Nacht vom Garten aus? Oder hat der begabte Künstler in einem Bild gleich mehrere Blickwinkel und Eindrücke aus seiner Zeit in Saint-Rémy vereint und mit „La nuit étoillée“ eine Komposition der eindrucksvollen provenzalischen Natur geschaffen? Es bleibt ein Rätsel, ob die wilde Sternennacht, die van Gogh heute so berühmt macht, Abbild eines tatsächlichen Sternenhimmels der provenzalischen Nacht ist. Seinem Bruder Theo gegenüber erwähnt er dieses Werk überraschenderweise nur kurz, berichtet Vincent ansonsten sehr ausführlich über seine liebsten Kunstprojekte. Auch erinnert das abgebildete Dörfchen eher an die niederländischen Heimatorte, die Vincent van Gogh geprägt haben und wenig an Saint-Rémy oder die provenzalischen Dörfchen. Ebenso das Motiv der Sternennacht lässt sich öfter in seinen früheren Werken, vorwiegend aus seiner Zeit in Arles finden. Heutzutage wird daher davon ausgegangen, dass es sich eher um eine Komposition verschiedener Kunststudien handelt, die Vincent van Gogh schließlich im Juni 1889 in seiner schweren Zeit im Sanatorium zu dem eindrucksvollen Werk vereint, für das er heute so berühmt ist. Feststeht jedoch, dass er die herrliche Landschaft der Provence mittels seines einzigartigen Stils erfasste. Mit seiner phänomenalen Gabe, seine Sichtweise der Welt in lebhaften Farben und energischen Formen auszudrücken, verewigte er die Region wie kein anderer und regte zahlreiche Künstlerinnen und Künstler an, sich wie er durch die intensiven Farben und das atemberaubende Licht der Provence inspirieren zu lassen.

Hinterlasse einen Kommentar