Carpentras

Die Kleinstadt in der Nähe des Mont Ventoux gehört zu einer der außergewöhnlichsten der Provence: Carpentras verfügt über eines der reichsten historischen Erben der Region, das noch heute lebendig zu spüren ist. Jeden Gast empfängt das Städtchen mit offenen Armen, wie Carpentras es bereits seit seiner Gründung getan hat. Denn hier gehört der Austausch, das Handeln, aber auch die Toleranz und die Neugier für andere Kulturen schon immer zum kulturellen Charakter der Stadt. Erst zog es in der Römerzeit allerlei Händler in die Marktstadt, dann wurde die Kleinstadt religiöses Zentrum und Schutzort für Juden und schließlich bewahrte Carpentras die provenzalische Unabhängigkeitsstreben gegen die französische Krone als letzter Ort der Provence. Neben seinem kulturellen Erbe ist die Kleinstadt jedoch auch für ihre gastronomische Qualität bekannt und sticht vor allem mit dem schwarzen Juwel der Region – dem Trüffel – von den anderen provenzalischen Orten hervor.

Markttag

Schon seit der ersten Besiedlung des Gebietes von Carpentras dreht sich alles im Ort um den Handel. Denn bereits im 5. Jahrhundert v.Chr. wurde eine Art Marktplatz erschaffen, wo verschiedenste Händler aus allen Ecken der Welt in Austausch traten. Zwischen griechischen, keltischen, römischen und anderen Händlern vornehmlich aus dem Mittelmeerraum wurde Carpentras als Dreh- und Angelpunkt der Region bekannt, wo sich die unterschiedlichsten Kulturen austauschten. Um dieses Handelszentrum herum entstand rasch das kleine Städtchen, das seinem Charakter als multikultureller Ort stets ehrte. Zahlreiche Ware von Käse und Fleisch über Obst und Gemüse bis hin zu Nutztieren und ihren Häuten oder verschiedene Holz, Stein- oder Tonarbeiten wechselten in Carpentras täglich den Besitzer und verbreiteten sich so in ganz Europa.

Bis heute hat sich der außergewöhnliche Handelscharakter des Ortes gehalten, so gilt der wöchentliche Markt im alten Stadtzentrum nach wie vor als einer der berühmtesten und größten der Provence. Er ist einer der wohl ältesten seiner Region und gilt daher als einer der traditionellsten „marchés provençaux“. In der Hochsaison sind es teilweise über 300 Stände, die jeden Freitagmorgen ihre herrlichen Waren anpreisen. Carpentras verwandelt sich in einen provenzalischen Traum aus allerlei Düften, leuchtenden Farben und anderen wunderschönen Hinguckern. Zwischen feldfrischem Obst und Gemüse kann man hier ebenso traditionelle Gerichte, Delikatessen und Spezialitäten entdecken sowie in dem bunten Treiben mit den echten Provenzalen in Kontakt kommen. Einem jeden Marktbesucher wird  die grandiose Vielfalt der Region deutlich, wobei man gleichzeitig in Stückchen in die lange Vergangenheit der Provence zurückreist und an demselben Ort handelt, wo bereits zu Römerzeiten Waren aus aller Welt den Besitzer wechselten. Die provenzalische Vielfältigkeit kann auf dem Markt in Carpentras nicht nur erlebt werden, sondern auch für die Ewigkeit mitgenommen werden.

Außergewöhnliche Geschichte

Die Bedeutung des provenzalischen Kleinstädtchens begann schon recht früh. Dabei steht Carpentras wie keine andere Stadt symbolisch für die provenzalische Eigenständigkeit und politische Souveränität, die die Region Langezeit versuchte zu erhalten. Doch die Ortschaft in der Nähe des Mont Ventoux sticht mit seiner Geschichte immer wieder von den anderen Orten der Provence hervor und hebt sich stets mit ihren eigenen Charakteren ab. So ist Carpentras Sinnbild für allerlei Phänomene und Ereignisse der provenzalischen Geschichte, ist aber gleichzeitig unverwechselbar und eigensinnig. Begonnen hat die beeindruckende Geschichte von Carpentras in der Antike, als die Ortschaft als Handelszentrum bereits in der römischen Provinz eine entscheidende Rolle einnahm. Zuvor durch die Kelten besiedelt, fanden auch die römischen Eroberer Gefallen an dem Ort in der Nähe des Mont Ventoux, wo sich allerlei Kulturen im Handel austauschten. Aus dieser Zeit zeugt heute noch der römische „Arc de Carpentras“, ein Ehrenbogen auf der Rückseite des örtlichen Justizpalastes, der die vermeidliche Überlegenheit der Römer in der Provence verdeutlichen sollte. Schon zu dieser Zeit trug die Kleinstadt ihren Namen, wurde sie als „Carpentrorate“ oder „Carpentoracte“ bezeichnet, woraus sich später ihre heutige Benennung „Carpentras“ entwickeln sollte.

Als Umschlagsplatz für vielerlei Waren aus allen Ecken der Welt blieb Carpentras auch nach dem römischen Machtverlust und dem Anbruch des Mittelalters in der Provence von Bedeutung. Allerdings sollte sich nun der Charakter des Städtchens ändern und ihm neue Handlungsmöglichkeiten erlauben. Denn im Mittelalter wurde die multikulturelle Rolle Carpentras, die durch den regen Handel in der Antike entstand, durch eine religiöse Bedeutung ergänzt. Ab 1274 gehörte Carpentras zum „Comtat Venaissin“, das unter päpstlicher Herrschaft stand. In der päpstlichen Enklave fiel der Marktstadt allerdings eine entscheidende Rolle zu. Papst Clemens V. machte Carpentras während seiner Regierungszeit von 1309 bis 1314 zu einer seiner Residenzorte, denn das wirtschaftliche Handelszentrum lag nicht unweit von dem neuen Hauptsitz des Papstes in Avignon. Unter der schützenden Hand des Papstes blühte die Ortschaft erneut auf, nun jedoch anders als in der Antike. Es war eher eine kulturelle als eine wirtschaftliche Blüte. Auf Anweisung des Papstes wurde Carpentras durch zahlreiche kirchliche Bauten und Memorialen ergänzt sowie als sichere päpstliche Residenz durch Mauern, Tore und Straßen aufgerüstet. Die provenzalische Ortschaft wuchs stetig unter der Herrschaft des Papstes, sodass sie 1320 sogar Hauptstadt der Grafschaft Venaissin wurde. Die päpstliche Enklave war am Ende des Mittelalters die letzte unabhängige Region in der Provence, die im Laufe des Mittelalters fast vollständig an die französische Krone gefallen war. Als die Hauptstadt dieser letzten souveränen provenzalischen Region kam Carpentras eine außergewöhnliche Rolle zuteil. Vor allem ab 1478, als auch die Grafschaft Provence an die französische Krone fiel, mussten sich die Machthaber in Carpentras stets gegen die Eroberungsversuche Frankreichs verteidigen. Nicht selten schickte der französische König seine Truppen in das Comtat Venaissin und vor allem in sein Zentrum Carpentras. Das Verhältnis zwischen Carpentras und der französischen Krone steht wie nichts anderes für den Konkurrenzkampf und das Ringen um den Machtanspruch in weltlicher und geistlicher Hinsicht, mit denen sich die Kirche und die Könige Europas in der Frühen Neuzeit konfrontiert sahen. Carpentras nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein, ist es das Bild eines weltlichen Zentrums auf französischen Boden unter geistlicher Macht und damit ein wahrlich außergewöhnlicher Ort.

Doch die Schirmherrschaft des Papstes hatte nicht nur diese kriegerischen Folgen für das kleine Carpentras. Denn sie bot einigen benachteiligten und verfolgten Gruppen im französischen Königreich einen sicheren Rückzugsort. Die Asylpolitik des Papstes war für damalige Verhältnisse und im Vergleich zu anderen Staaten überraschend tolerant. Insbesondre Untertanen des französischen Königs, die nicht dem Christentum angehörten, wurden von dem streng katholischen Regenten brutal verfolgt. Vor allem waren es Juden, die den heftigen Pogromen auf französischem Gelände ausgeliefert waren und vor der französischen Verfolgung fliehen mussten. Bereits zur Römerzeit hatte sich in Carpentras ein jüdisches Zentrum im Süden Frankreichs entwickelt, doch wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Carpentras Schutzort für Juden aus ganz Frankreich. Denn unter päpstlicher Herrschaft waren alle Flüchtende willkommen, egal welchen Glauben sie trugen. Damit waren Juden gegenüber Christen jedoch noch nicht gleichgestellt, durften allerdings im Gegensatz zum französischen Königreich ihren Glauben ausleben. Dabei waren sie zwar toleriert, doch galten für sie auch unter päpstlicher Herrschaft einige Benachteiligung, sie wurden diskriminiert und ausgeschlossen. So sah das päpstliche Gesetz vor, dass Juden in den sogenannten „carrières“ leben mussten. In diesen abgegrenzten Stadtvierteln hatten sie nur wenig Kontakt zu den anderen Bewohnern in Carpentras. Ebenso mussten Menschen jüdischen Glaubens ein Erkennungszeichen tragen – die „rouelle“, einem auf der Kleidung immerzu sichtbaren gelben Ring, und später zusätzlich einen gelben Hut. Juden waren damit in der Grafschaft toleriert aber keineswegs akzeptiert, sondern stachen immer noch aus der katholisch-christlichen Gesellschaft heraus. So entstanden in zahlreichen Orten des Comtat Venaissin die jüdischen „carrières“ als autonome Viertel inmitten der christlichen Gemeinden wie Cavaillon, Isle-sur-la-Sorgue und Avignon. In der Hauptstadt der päpstlichen Grafschaft, Carpentras, entstand die größte und bedeutendste jüdische Gemeinde der Region. Die Geschichte jüdischer Flucht mit anschließendem Schutz in Carpentras sowie das anschließende Leben von Jüdinnen und Juden inmitten der päpstlichen Enklave ist noch heute in Carpentras sichtbar. Vor allem die mittelalterliche Synagoge, die bereits 1367 inmitten von Carpentras gebaut wurde, wurde zum Zenturm des „carriéres“ in Carpentras. Noch heute ist sie dieser Mittelpunkt jüdischen Lebens in Carpentras und damit die älteste Synagoge Frankreichs, die noch immer genutzt wird.

Geheime Welt des Trüffels

Im Winter, zwischen Mitte November bis Anfang März, ereignet sich in Carpentras ein wahrlich sonderbares Spektakel. Neben seinem Wochenmarkt jeden Freitagmorgen macht die Kleinstadt mit einem anderen, ebenso außergewöhnlichen Markt auf sich aufmerksam. Der Winter ist Trüffelzeit in der Provence. Überall werden die kleinen schwarzen Diamanten der Region geerntet und oft mit einem besonderen Fest verkauft. In vielen Dörfern der Provence findet nun einmalig ein exklusiver Trüffelmarkt statt, der meist den Charakter eines kleinen Dorffests annimmt. Doch in Carpentras ist alles anders: Hier findet ab Mitte November wöchentlich am Freitagmorgen ab 9 Uhr ein Markt zu Ehren des Edelpilzes statt. Doch es ist kein wöchentliches Dorffest, das im Zentrum von Carpentras stattfindet, sondern der Markt ist für seine Stille und Diskretion berühmt. Leise murmeln die sogenannten Trüffelsammler mit ihren Kunden, es wird in Flüsterton über die Preise verhandelt und der Trüffel als kleine Kostbarkeiten angepriesen. Es ist eine Ehrdarbietung des besonderen Pilzes, dessen Kultivierung alles anderes als leicht ist. Doch die provenzalische Natur bietet überaus gute Bedingungen für den Trüffelanbau, sodass die schwarzen oder weißen Trüffel zu einer Kostbarkeit der Region gehören.

Die Ehrerbietung des Trüffels folgt jeden Freitagmorgen einem strengen Protokoll und ist eine fest einstudierte Zeremonie: Der mit einem schwarzen Mantel gekleidet Vorsteher des Trüffelmarktes betritt den „Place Astride Briand“, verkündet den tagesaktuellen Trüffelpreis pro Kilogramm und eröffnet mit einem lauten Pfiff die Verhandlungen an den Markständen. Mit dem Pfiff beginnt der Verkauf, doch herrscht ab jetzt konzentriertes Schweigen und leises Gemurmel, denn hier haben sich die wahren Trüffelkenner versammelt. Der Trüffelmarkt in Carpentras ist nämlich zweigeteilt: Die Kenner gehen auf den „Place Astride Briand“, die Amateure auf den Vorplatz des „Maison de Pays“. Die Verhandlungen auf dem „Kenner-Trüffelmarkt“ legen den Rahmen für die saisonale Preisentwicklung des Pilzes in der Provence aber auch in ganz Frankreich fest. Auch der Zustand des hier verkauften Trüffels zeigt die Qualität der Trüffelernte in der Saison. Denn hier kann der wahrer Qualitätstrüffel der Region erstanden werden. Der Preis, der mit ernsten Gesichtern auf dem „Place Astride Briand“ zwischen Trüffelzüchter und Trüffelkenner verhandelt wird, setzt die Referenz nach der sich die umliegenden Ortschaften und Trüffelverkäufer richten. Aus allen acht Departments der Provence sind allerlei sogenannten „caveurs“ (Trüffelsammler/-züchter) in Carpentras zusammengekommen, um vor einem teils internationalen Publikum und ausgesprochenen Kennern des Trüffels ihre saisonale Ernte zu präsentieren. Damit kann sich diese exklusive Branche einen Überblick auf das diskrete Handwerk der provenzalischen Trüffelzucht verschaffen und die Trüffelernte des Jahres beurteilen. Gleichzeitig ist es der Ort, wo Trüffelsammler das exklusive Sammelrecht in den provenzalischen Wäldern erhalten können, indem sie sich hier als qualifizierte Trüffelsammler bewerben. Die Besonderheit und Diskretion, die der Edelpilz in der Provence mit sich bringt, sind damit nirgendwo anderes so gut zu spüren wie in Carpentras. So herrscht herrscht in der winterlichen Ruhe der Provence jeden Freitagmorgen bis in den März hinein eine unbeschreibliche Atmosphäre, die zwischen der Ehrerbietung für den kleinen Pilz, der Intimität und Authentizität des Trüffelverkaufs und dem Aufwand des Trüffelsammelns liegt.


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