Die Calanques

am

Türkisfarbenes Wasser, schroffe Felsen und verstecke Buchten – das sind die Calanques zwischen Marseille und Cassis. Das kleine Naturwunder entlang der Mittelmeerküste verzaubert alljährlich Millionen von Besucher, die an den wunderbaren Bademöglichkeiten, auf den vielfältigen Wanderwegen, Kletterpassagen und Mountainbike Trails, sowie in den pittoresken Häfen den herrlichen Nationalpark genießen können. Das zerklüfteten Kalkgestein erinnert fast an die skandinavischen Fjorde, doch kann die atemberaubende Landschaft bei mediterranem Klima und leichtem Meeresrauschen auf wahrlich andere Art und Weise in der Provence genossen werden.

Ein Naturwunder

Kalksteinfelsen sind ein Symbol der Provence, schließlich besteht der reichhaltige provenzalische Boden oft aus jenem Stein. Doch besonders zur Geltung kommt das weiße Gestein hier, wo die fjordähnlichen, schroffen Felsen in Kontrast mit dem türkisfarbenen Wasser des Mittelmeeres heben das Gestein in all seinem Glanz hervorheben. Hinzukommen die provenzalischen Pinien- und Eichenbäume, die mit ihren grünen Blättern angenehmen Schatten bieten und durch ihre charakteristischen Grüntönen kleine Farbtupfer auf den hellen Felsen bilden.

Der einzigartige Naturraum besteht dabei aus mehreren „Calanques“. Von dem provenzalischen Begriff „calanco“ abgeleitet bezeichnet eine „calanque“ jene charakteristische Kalksteinformation, die als Tal von einem Fluss gegraben und dann vom Meer aufgefangen wurde. Denn tatsächlich entstanden die Buchten durch ehemalige Flüsse, die in das Meer flossen. Damit bilden die Calanques mit ihren schroffen Kalksteinfelsen ein einzigartiges Naturschauspiel, das nirgendwo sonst zu finden ist. Bislang wurden etwa 26 dieser Buchten zwischen Marseille und Cassis offiziell als „Calanque“ benannt, wobei sich eine bei Cassis finden lässt und die anderen 25 bei Marseille. Davon sind die meisten Buchten gut erschlossen und leicht besuchbar, manche jedoch eher versteckt und teils nur über das Wasser zu erreichen. Die einzelnen Calanques lassen sich dabei oft über verschiedene Wander-, Mountainbike oder Kletterwege verbinden und erkunden. Allerdings gibt es nicht nur Calanques über Wasser, sondern ebenso einige Buchten unterhalb des Meeresspiegels, die mit dem türkisfarbenen Wasser gespült und nur bei einem Tauchgang zu erkunden sind.

Unzählige Fossilien im Kalkstein zeugen von der bewegten Geschichte der Region, die einige hundert Millionen Jahre zurückreicht. Sie begann als sich die Alpen bildeten und sich Sedimente auf dem Meeresboden ansammelten, der noch deutlich unter dem heutigen Niveau lag. Durch zunehmende Erosion entstand das heute stark zerklüftete Relief aus Kalkstein, das sich aus dem traumhaften Meereswasser erhebt. Dabei sind die Calanques in das etwa 430 Meter hohe „massif de Marseilleveyre“ und das knapp 560 Meter hohe „massif de Puget“ eingegraben. Das stark zerklüftete Kalkgestein hat eine beeindruckende Zahl an Höhlen und unterirdischen Hohlräumen geformt, die vor tausenden von Jahren einst als sichere Behausung der ersten Bewohner der Region diente. Die Calanque sind daher für Forschende aus allerlei Disziplinen interessant; lässt sich hier besonders gut die Geschichte der Erde und jener unserer Vorfahren untersuchen.

Nicht umsonst ist das Gebiet als Nationalpark geschützt, soll der „Parc National des Calanques“ eben jenes Naturschauspiel bewahren. Damit ist insbesondere der Schiffsverkehr stark reglementiert und selbstverständlich jegliche Art des Angelns und Fischens untersagt, um die unvergleichliche Artenvielfalt der Calanque zu erhalten. Der Nationalpark hebt sich jedoch nicht nur aufgrund seiner beeindruckenden Natur hervor. Denn es ist gerade einmal elf Jahren her, als hier, vor den Toren der zweitgrößten Stadt Frankreichs, das außergewöhnliche Naturschauspiel als Nationalpark unter Schutz gestellt wurde. Damit ist es der bisweilen einzige Nationalpark in Europa, der sich in dieser unmittelbaren Nähe einer Großstadt befindet. Hier ist es daher eine allgegenwärtige Diskussion um den Schutz und gleichzeitig die Zugänglichkeit des Naturreservats zu gewährleisten. Der öffentliche Zugang zu den wundersamen Buchten soll möglichst uneingeschränkt bleiben, um die hiesige Schönheit der Natur möglichst einem breiten Publikum präsentieren zu können, doch ist das Bewahren dieser Schönheit stets an erster Stelle. Dafür wurden zahlreiche offizielle Wanderwege, Mountainbike Trails, Kletterpassagen und Badeorte angelegt und ausgewiesen, in denen knapp drei Millionen Besucher im Jahr die beeindruckende Natur der Calanques gleichzeitig genießen wie schützen können. Ebenso werden einige Bootstouren angeboten, die Neugierige zu den versteckteren Calanques führen und Abenteurer davon abhalten, auf eigene Faust die kleinen Buchten mit dem Schiff zu erkunden.

Märchenhafte Unterwasserwelt

Die artenreiche Flora und Fauna des Nationalparks sind dabei überall in den Calanques zu entdecken und besonders Merkmal dieser atemberaubenden Natur. Doch nicht nur durch seine geologische Besonderheit und der Artenvielfalt an Land bezaubern die Calanques ihre Besucher – vielmehr ist es die maritime Vegetation, die diesen Ort so besonders macht. Wie ein „Unterwassergarten“ beheimaten die Calanques zahlreiche Tiere und Pflanzen in ihrem türkisfarbenen Wasser. Sein sandiger Grund wechselt sich mit den blau-violett schimmernden Neptungras-Wiesen bzw. Posidonia-Seegraswiesen ab, die mit ihren blühenden Wasserpflanzen Lebensraum für allerlei Arten sind. Hier wohnen Kraken, Meerbrassen, Seeigel, Zackenbarsche, Seeanemonen, Meeräschen und viele weitere Meeresbewohner im klaren Wasser der Calanques. Viele von ihnen kann man mit dem bloßen Auge von Land aus erkennen oder bei einem Tauchgang in die maritime Märchenwelt der Calanques eintauchen.

1985 jedoch entdeckte der Unterwasserforscher Henri Cosque ein wahrlich wundersames Naturschauspiel auf einer seiner Tauchgänge. Er tauchte im türkisfarbenen, klaren Wasser zu einer Halbinsel des Nationalparks der Calanques, dem Cap de Morgiou, als er in 36 Meter unter dem Meeresspiegel plötzlich auf eine versteckte Grotte stieß. Von der Neugier gepackt begab er sich sogleich in den Hohlraum in der Felswand, der ihn durch einen 175 Meter langen Gang in eine Grotte über Wasser führen sollte. Hier stieß der Forscher auf einen mehrere zehntausend Jahre alten Schatz: Fast 500 verschiedene Malereien waren an den Kalksteinfelsen zu finden, die wundersame Motive aus der Steinzeit zeigen. Vor mehr als 30.000 Jahren malten und meißelten unsere Vorfahren bis etwa 19.000 v.Chr. in der bis dato noch von Land zugänglichen Höhle allerlei Kunstwerke an die Felswände. Das Meer lag zu dieser Zeit noch etwa 120 Meter unter dem heutigen Niveau und auch das Klima war nicht jenes mediterrane wie heute, sodass sich wahrlich wundersame Wesen an den Wänden finden lassen. Erkennen lassen sich daher Pinguine, Hirsche, Steinböcke und Bisons, die Rückschlüsse auf diese andere, lange zurückliegende Zeit bieten und im heutigen trockenen Klima des Mittelmeeres doch überraschend wirken. Seine wundersame Entdeckung sollte Cosque jedoch Langezeit geheim halten, erforschte er über sechs Jahre hinweg die maritime Grotte und entdeckte immer mehr archäologische Schätze. Erst 1991 machte er seinen Fund nach zahlreichen Tauchgängen öffentlich bekannt, woraufhin sie erst der breiten Öffentlichkeit zugänglich, schnell jedoch unter Denkmalschutz gestellt wurde und seitdem intensiv von Archäologen, Historikern und Geologen gemeinsam erforscht wird. Die Forschenden setzten alles an den Erhalt dieses außergewöhnlichen Fundstückes, so wurde der Eingang versiegelt und die Grotte ist nicht für das breite Publikum zugänglich. Doch aufgrund des stetig ansteigenden Meeresspiegels ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Grotte komplett unter Wasser sein wird. Manche der Jahrtausende alten Malereien sind bereits vom Meereswasser bedeckt und daher nicht nur schwierig zu erforschen, sondern leider zunehmend zerstört. Allerdings widmete sich die Nationalparkverwaltung der Calanques einem bemerkenswerten Projekt: Sie bauten die Grotte mit all ihren Kunstwerken und Steinformationen an Land nach. Die Höhle lässt sich daher, mitsamt einer Tauchsimulation, in der Villa Méditerranée, unweit der Calanques direkt am Wasser gelegen, besichtigen, wo die „Grotte Cosquer“ detailgetrau nachgebildet wurde.


Entdecke mehr von Luberon Blog

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu bekommen.

Hinterlasse einen Kommentar